Tone Policing ist eine Silencing-Methode. Es wird häufig genutzt, um Personen, die auf -Ismen (bspw. Rassismus, Sexismus, Ableismus, trans-Feindlichkeit etc.) aufmerksam machen, zu beschämen, zu diskreditieren und zum Schweigen zu bringen. I.d.R. sind Personen, die auf -Ismen aufmerksam machen, selbst von diesen Diskriminierungsformen betroffen –müssen also häufig selbst unbezahlte Aufklärungsarbeit leisten. V.a. beim Thema Ableismus problematisch, da behinderte Personen häufiger weniger Kapazitäten und Ressourcen zur Verfügung haben als privilegiertere Personen.
Anmerkung: In diesem Beitrag geht es um Hinweise und Kritik, nicht um Beleidigungen oder persönliche Anfeindungen.
Von Diskriminierung betroffene Menschen sind zu Recht wütend/verzweifelt/frustriert, dies kann und sollte bei Aufklärungsarbeit nicht immer versteckt werden. Irrglaube: Nette, vorsichtige Formulierungen seien zielführender – ein Scheinargument, das der Diskreditierung dient – denn damit wird man häufig gar nicht erst ernst genommen.
Tone Policing hängt oft mit White/Male/Able-Bodied Fragility zusammen. Unser Frust kann bei privilegierteren Menschen unangenehme Gefühle auslösen, weil sie Verantwortung übernehmen und sich mit dem Thema auseinandersetzen müssten.
Das Sich-durch-einen-Hinweis–auf–Ableismus-Angegriffen-Fühlen, liegt oft an Able-Bodied Fragility – dazu am Grad deren Offenheit, Wissenstand, Sensibilität – nicht an der Formulierung (Ausnahme: Beleidigungen). Btw.: Natürlich können auch behinderte Menschen Ableismus reproduzieren.
Für das Angegriffen-fühlen der Ableismus-Reproduzierenden wird den auf Ableismus-Hinweisenden die Verantwortung zugeschoben. Das ist eine Fokusverschiebung – vom ursprünglichen Problem zu einer Diskussion über die „angemessene“ Art (nach neuronormativen Standards) der Aufklärung.
Zusätzliche Problematik bei Autismus:
Häufig meinen wir das, was wir sagen, ohne weitreichende Hintergedanken, ohne etwas anderes damit implizieren zu wollen. Gerade bei Fragen wird uns sehr häufig eine Intention/Agenda/versteckte Aussage unterstellt, die wir so meist nicht annähernd intendieren. Unsere meist klare, explizite Ausdrucksweise wird v.a. von Allistics oft als unhöflich, arrogant, unempathisch etc. fehlgelesen. Wir haben dadurch viel Gaslighting erfahren, dieses Missverstanden-werden ist eine Art des kollektiven Traumas, das sehr viele Autist·innen betrifft.
Mit Masking kann man sich allistischen Kommunikationsnormen angleichen, doch oft funktioniert auch dies nicht ideal. Man kann alles beachten, sich anstrengen, stundenlang über die perfekte Formulierung nachdenken (was viel Energie kostet, von der wir meist nicht viel haben) – und wird trotzdem falsch verstanden und als „merkwürdig“ bewertet. Auch hat nicht jede Autist·in diese Fähigkeit, sie kann auch fluktuieren, denn Autismus ist eine dynamische Behinderung.
Von Autist·innen zu verlangen, zu masken (z.B. Wortwahl und „Ton“ neuronormativ anpassen, Höflichkeitsfloskeln einfügen, schmeicheln, lügen – vieles, was Allistics besser, uns schlechter fühlen lässt), ist aus mehreren Gründen unangebracht: Vielleicht sind Masking-Fähigkeiten nicht vorhanden, sie verbrauchen zu viel Kapazität oder erzeugen zu viel Stress. Und wir haben auch das Recht, nicht mehr masken zu wollen – es hat uns zu oft in Melt-/Shutdowns, Burnouts getrieben; oder wir befinden uns im schwierigen Un-Masking-Prozess und können nicht einfach zurück; oder wir wollen vielleicht einfach wir selbst sein und uns nicht nach neuronormativen Regeln verhalten, weil halt: it s*cks. Diese Erwartungshaltung an das Anpassen verweist auf den tief verwurzelten Ableismus in unserer Gesellschaft.
Und: Wie sollen autistische Kommunikationsformen jemals normalisiert werden, wenn von uns verlangt wird, uns neuronormativen Regeln zu unterwerfen?
Natürlich dürfen wir trotzdem Masking einsetzen – machen wir uns nichts vor: an dem Punkt, an dem es leicht ist, zu unmasken, wir nicht mit Diskriminierung und Nachteilen rechnen müssen, sind wir noch lange nicht.
Ob mit oder ohne Masking: Was bei Tone Policing gegenüber Autist·innen zum Einsatz kommt, sind autismusfeindliche Narrative, die viel an der generellen Stigmatisierung von Autismus beteiligt sind: unempathisch, arrogant, stur, belehrend, aggressiv, überempfindlich, von oben herab, unangemessener Tonfall etc. Und ja, es wird hier oft konkret persönlich beleidigend – etwas, was meist im Ableismushinweis gar nicht vorkam, aber unterstellt wird.
And isn’t it ironic.
Dieses Fehlgelesen-werden, was oft in Gaslighting resultiert, kann für Autist·innen potentiell triggernd sein. Ich muss den meisten der hier Lesenden wahrscheinlich nicht erzählen, wie schädigend und gefährlich das sein kann.
Ehrlich gesagt, hab ich sogar in gewissem Maß Verständnis dafür, wenn Allistics, die sich mit Autismus nicht auskennen, uns missinterpretieren und sich angegriffen fühlen, da sie meist gar nicht wissen, dass es überhaupt Kommunikationsarten außerhalb ihrer Neuronormativität gibt.
Aber bei Allistics, die mit Autist·innen arbeiten? Nicht wirklich. Bei Autist·innen aus der eigenen Community? Einfach nur ein Schlag in die Magengrube.
Ein besonders verletzendes „Argument“ – und ableistisch af:
Wenn man selbst nur unempathisch kommunizieren könne, wie könne man dann Empathie von anderen erwarten.
Das ist auf so vielen Ebenen falsch. „Unempathisch“ ist m.E. eines der schädlichsten Autismus-Stereotype. Bedeutet das, dass Allistics aufgrund des Double-Empathy-Problems das Recht haben, mit uns unempathisch umzugehen? Wenn wir aufgrund unserer Behinderung in der neuronormativen Welt als unempathisch gelten, dürfen wir dann nicht mehr hoffen, dass Menschen uns empathisch begegnen? Das ist gewaltvolles, ableistisches Silencing und m.E. eines der schlimmsten Beispiele für Tonpolicing bei Autismus.
Das Traurige ist: Es funktioniert. Gerade wenn Tone Policing mit autismusfeindlichen Narrativen arbeitet, führt das in letzter Konsequenz dazu, dass Ableismuskritik kaum mehr angebracht wird. Unsere Aufklärungsarbeit ist nicht nur kostenlos, sondern sie kostet uns richtig, weshalb sich viele behinderte Personen, die hoffen, auf ein klein wenig Offenheit zu stoßen, zurückziehen müssen, um sich selbst und ihre Gesundheit zu schützen. Sollte Aufklärungsarbeit nicht eigentlich zumindest respektiert werden? Ich glaube, die wenigsten erwarten soetwas wie Dank, aber zumindest haben wir doch ein Recht darauf, nicht auch noch beleidigt und sogar gefährdet zu werden.